Hermann Czech, Architekt
Zum Wettbewerbsentwurf Umbau des Nationalratssaals in Wien 1

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In einem Parlamentssaal sind Inhalte unmittelbar konstitutiv für räumliche Entscheidungen — umso mehr wenn sie geändert werden sollen.

Der bestehende Nationalratssaal in Wien (Abb. 1) ist ein respektabler Entwurf von Max Fellerer und Eugen Wörle aus 1954-55. Nach der Zerstörung des Herrenhaus-Saals 1945 wurde Theophil Hansens klassischer Raumgedanke übernommen: die Hälfte einer kesselförmigen Arena und halbe Ränge, mit einer monumentalen Wand als stirnseitigem Abschluss. Aber so eine Wand hat Hansen nicht entworfen! Diese trivial gegliederte, inhaltsleere und bezugslose Riesenwand, die man ständig vor Augen hat, ist der schwache Punkt des Saals — unglücklicherweise kein Punkt, sondern die größte Fläche im Gesichtsfeld. Es ist dies ein Fall, wo die vermeintliche Abstraktion in ungewollte Banalität umschlägt. Auch der Adler hilft nicht weiter.

Abb. 1. Nationalratssaal von Max Fellerer und Eugen Wörle, 1954-55, Bestand

Abb. 2. Bestehender Sitzungssaal des ehemaligen Abgeordnetenhauses
Foto: Johanna Fiegl

Abb. 3. Ehemaliges Abgeordnetenhaus, Bestuhlung

So sieht eine monumentale Stirnwand von Hansen aus (Abb. 2): im größeren, nicht zerstörten Saal des ehemaligen Abgeordnetenhauses. Aus der Pfeilerreihe, deren Gesims die Saalhöhe teilt, löst sich eine Tempelfront; in den Nischen reiht sich ein Statuenprogramm der Antike. Offensichtlich können wir so etwas nicht versuchen, weder was die Formen noch was die Bedeutungen betrifft. Wir müssen uns auf die lebenden Akteure vor dieser Wand konzentrieren; daher ist in diesem Wettbewerbsentwurf die Decke vorne mittig herabgezogen (bis herunter auf Hansens ehemalige Gesimshöhe), ähnlich wie in einem Theater, wo es ebenso um die Wahrnehmung von natürlichen Personen geht (Abb. 4, 5).


Abb. 4. Hermann Czech: Neugestaltung des Nationalratssaals, Wettbewerbsprojekt 2008 Computersimulationen: OLN — Office Le Nomade

Die Decke selbst ist noch nicht durchgearbeitet; nach wie vor wäre sie die Lichtquelle des Saals, zugleich als Schrift- oder Bildträger bespielbar, hätte jedoch nicht die technische Anmutung einer Funktionsfläche, sondern die eines diffusen, rätselhaften, über dem Saal schwebenden Volumens, das ambivalent sowohl den Eindruck einer Begrenzung wie den einer Öffnung macht. 2

Praktisch das gesamte Plenum ist behindertengerecht: In einem Theater reicht es aus, einzelne Rollstuhlplätze in verschiedenen Kategorien vorzusehen. Abgeordnete dagegen verlassen während der Sitzung häufig ihre Plätze, um andere aufzusuchen und Informationen auszutauschen oder auch mit ihnen hinauszugehen. Das muss auch rollstuhlfahrenden Abgeordneten möglich sein; es ist eben ein Arbeitsraum und kein Zuschauerraum.

Abb. 5

Deshalb wurde — in durchaus nicht leidensfreier Überlegung — auf die markante kesselförmige Halbarena verzichtet, dafür aber ein anderer Raumgedanke eingeführt: Das stark abgeflachte Plenum ist nun eine besondere Zone innerhalb eines großzügigen Couloirbereichs (Abb. 5, 6); der Saal ist visuell und nutzungsmäßig horizontal nach drei Seiten offen. 3

Es gibt hier erhaltene Bestandselemente: das Material der Brüstungen und der Stirnwand (mit dem Adler an der gleichen, nunmehr prägnanten Stelle), andererseits anklingende Elemente des ehemaligen Abgeordnetenhauses: das dunklere Holz der Pulte, das Blau der Polstersitze und der helle Teppich (Abb. 3). Dazu kommen neue Elemente: die flache Saalneigung mit der horizontalen Durchlässigkeit — und die diffuse, körperhafte Saaldecke.

In dem vor kurzem abgeführten Wettbewerb kam das Projekt nicht in das Drittel der für die zweite Stufe ausgewählten. 4

Abb. 6

Neben dem Behindertenproblem hatte sich eine zweite inhaltliche Frage gestellt: das Rednerpultproblem; beides zugleich unmittelbar räumliche Fragen. Solche Entscheidungen können nicht einfach den Architekten übertragen — aber auch nicht ohne räumliche Untersuchung vom Auslober vorgegeben werden. Eine inhaltliche Diskussion darüber hätte außerhalb des Architektenwettbewerbs stattfinden müssen, und zwar nachdem die räumlichen Möglichkeiten gesammelt wurden: also zum Beispiel nach der ersten Stufe 5 (wie etwa beim Messepalast-Wettbewerb 1986-90, wo ja auch nicht das Sammlungskonzept dem Siegerprojekt anheimgestellt wurde).

Im vorliegenden Projekt hat der Redner oder die Rednerin, statt wie bisher der Regierung den Rücken zuzuwenden, die Wahl zwischen zwei Positionen; er oder sie kann von links nach rechts sprechen oder umgekehrt — jeweils dem gegnerischen Teil des Hauses und der Regierung gleichzeitig zugewandt (Abb. 4). Das bloße Vorhandensein des anderen, leeren Pults macht die demokratische Relativität von politischen Positionen bewusst.


1 Überarbeiteter Ausschnitt aus dem Artikel: Architektur, von der Produktion her gedacht; erschienen in: Hintergrund, Architekturzentrum Wien, Nr. 41, 2009 (16. Wiener Architekturkongress, “The Making of Architecture”), S. 20-37.

2 Die Saaldecke gehörte laut Ausschreibung zu den vom Bundesdenkmalamt freigegebenen Bauteilen.

3 Die uneingeschränkte Behindertengerechtheit begründete die Ausscheidung des Projekts: „Der Verzicht auf die Abtreppung des Plenarsaals...schwächt...den Charakter eines würdigen Theaterraumes in Richtung Kongresssaal” (Jurybeschreibung). Nun ist ja gerade ein Theaterparkett meist nicht abgetreppt.

4 Vorsitzender der Jury: Boris Podrecca, stellvertretende Vorsitzende: Marta Schreieck. — Das Jurymitglied Eva Glawischnig-Piesczek, das sich zuvor medial für uneingeschränkte Behindertengerechtheit des Saals lautstark gemacht hatte, war (samt Ersatzjuror) der Jury ferngeblieben.

5 Tunlichst mit Einschluss des einzigen uneingeschränkt barrierefreien und die Rednerpultfrage innovativ behandelnden Projekts.

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